Mona Siegel

Die ersten Lockerungen der Corona-Beschränkungen sind im Gange. Die ersten Schritte zurück in ein normales Leben – versuchsweise. Ich indes befinde mich noch in einem Prozess, der durch den Exit aus dem gewohnt freiheitlichen Leben angestoßen wurde. Zunächst widerstrebend, dann willkommen heißend, habe ich die Durchkreuzungen hin- und dann angenommen. Eingelebte, Sicherheit bietende Alltagsroutinen sind weggebrochen – geplante Freundinnenzeiten ebenso. Routinierte Alltagstrance: Nichts in Frage stellen – einfach machen: Adé. Mit einem Mal erzwingt der Shutdown das Innehalten. Und das Innehalten öffnet einen Raum des Zweifelns, des Hinterfragens so manch bewährter Gewohnheit. Krise durchbricht Routine. Sichtbar werden hie und da einengende wie auch sinnentleerte Praktiken. So gesellt sich zu der Unsicherheit im Außen die Verunsicherung im Inneren. Zögerliche Bewegungen auf unsicherem Terrain – spüren eigener Verletzungen und Verletzlichkeit. Daneben und damit im Wechsel empfange ich überraschend so manchen kreativen Impuls. Kann es sein, dass Kreativität und Verletzlichkeit geschwisterlich verbunden sind? In meiner Innerlichkeit, nah beieinander, ihre Wohnstatt haben oder gar eine Wohnstatt teilen? Wage ich es, mich diesem aufwühlenden Spüren auszusetzen? So manch lieb Gewonnenes steht in Frage. Wage ich es, eingefurchte Wege zu verlassen und Neuem, Unbekanntem Raum zu geben? Wage ich, mich aus meiner Komfortzone hinaus, hinein in eine mir noch unbekannte Lern- und Wachstumszone? Wage ich es, mich diesem Abenteuer anzuvertrauen? Habe ich den Mut, mich meinem Lebensstrom zu überlassen, darauf vertrauend, dass meine erworbenen Schwimmkünste hinreichen (A. Antonovsky). Und kann ich vielleicht sogar darauf hoffen, dass mir im Notfall Hilfe zuteilwird, die mich durch Skylla und Charybdis hindurch trägt?

Im Lichte der globalen Krise, die die Ärmsten am Schlimmsten trifft, könnte ich meine Befindlichkeiten durchaus als egozentrisch betrachten. Wem würde es nützen? Hilfreicher scheint mir diejenige Perspektive, in der ich meine biografische Bricolage (Basteleien mit gegebenen Ressourcen: C. Lévi-Strauss) als Beitrag zu einer bewusstseinskulturellen Bricolage an der Sozialen Plastik (J. Beuys) zu verstehen. Mich als An- und Aufgerufene zu begreifen, das Werdenwollende mitgeschöpflich mitzugestalten. Sind doch Ich und Welt zwei Seiten ein und derselben Medaille – wechselseitig untrennbar miteinander verwoben. Und beginnt doch jede Friedensarbeit im je eigenen Weltinnenraum (R.M. Rilke).

Um am Ende auf den Anfang zurückzukommen: Ich beschließe, meinem Prozess seine eigene Zeit zu lassen und dann zur rechten Zeit, selbst bestimmend den für mich stimmigen Ausgang zu nehmen.

Dr. Dieter Korczak

Seit das Corona-Virus in unser aller Leben getreten ist, hat die Sorge um unsere Gesundheit die höchste Priorität. Als ob das Corona-Virus uns als apokalytischer Reiter eine Pest biblischen Ausmaßes bescheren würde. Millionen würden vorzeitig sterben, menetekelten Virologen. Deshalb holte die deutsche Regierung den „Hammer“ heraus und veranlasste den weitestgehenden Stillstand unseres sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Dieser Stillstand dauert jetzt schon vier Wochen. Seit Mittwoch (22. April) dürfen die Geschäfte wieder öffnen. Aber Veranstaltungen sind weiter abgesagt, Mecklenburg-Vorpommern schottet seine Grenzen weiter gegen die „deutschen Brüder und Schwestern“ ab, Künstler und Gastronomen dürfen weiter darben und Hartz4 beantragen. Der Hotel- und Gaststättenverband prognostiziert, dass jedes dritte Restaurant oder Hotel Pleite gehen wird. Die Solo-Selbständigen und Freiberufler in der Musikbranche, Filmwirtschaft sowie die darstellenden KünstlerInnen haben Einnahmeeinbußen von bis zu 100%, die Fischbuden an der Ostsee ebenfalls.

Geht es bei diesen Maßnahmen, die auf dem schwankenden Boden von Halb-Wissen getroffen werden, wirklich um unsere Gesundheit? Oder werden wir in kollektive Geiselhaft genommen, weil die staatliche Vorsorge im Gesundheitsschutz und in der Katastrophenbekämpfung kläglich versagt hat, da sie sich nur an Profitzahlen orientiert hat? Ein Gutachten, das die Bundesregierung 2013 dem Deutschen Bundestag vorgelegt, verstärkt diesen Eindruck. https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf

In diesem Gutachten wird prognostiziert, dass eine Epidemie mit Corona-Viren in Deutschland zu mindestens 7,5 Mio. Toten in drei Jahren führen wird. „Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können“, heißt es dort ebenfalls und vieles andere mehr.

Keiner der seit 2013 verantwortlichen Politiker sollte sagen, er hat es nicht gewusst und sei überrascht worden. Das gilt natürlich insbesondere für unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel.

Warum wurde diese bundesbehördliche Risikoanalyse nicht ernst genommen? Weil eine entsprechende Risikovorsorge nicht in das neoliberale Konzept der Profitmaximierung passt. Deshalb musste jetzt der „Hammer“ herausgeholt werden, damit die Ausbreitung des Virus etwas verlangsamt werden konnte. Zwar wurde schon in der Risikoanalyse darauf hingewiesen, dass die über 65-jährigen die sein werden, die in erster Linie an dem Virus sterben werden. So ist es auch. 85% der Verstorbenen mit oder an Covid-19 sind älter als 70 Jahre. Nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in Dänemark. Es geht also darum, diese Altersgruppe zu schützen. Deshalb muss man aber nicht das ganze gesellschaftliche Leben lahmlegen.

Wie heißt es noch in der Definition der WHO: Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen. Leben retten ist mehr als der Anschluss an Beatmungsgeräte. In einem weiteren Sinne gehört dazu auch ein würdiges Sterben im Kreise seiner Liebsten und Freunde und nicht umgeben zu sein von lebensverlängernden Geräten. Wo werden die traumatisierenden Wirkungen für die Angehörigen der Kontaktsperre in den letzten Lebensstunden bedacht? Es geht also gleichberechtigt auch um unser geistiges und soziales Wohlbefinden, wenn wir die Gesundheit schützen wollen. Das Einschränken unserer Grundrechte, das Einschränken von Reise- und Versammlungsfreiheit, die Reduzierung oder Verunmöglichung der bezahlten Berufsausübung, ist deshalb eine massive Attacke auf unsere Gesundheit. Deshalb plädiere ich für eine sofortige Rücknahme aller Einschränkungen und erwarte Gesetze, die das Vorsorgeprinzip umsetzen. Händewaschen und Abstand halten haben wir jetzt sicherlich alle ausreichend gelernt.

Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte… (E. Mörike)

Theodor D. Petzold / Mona Siegel

Die Corona-Pandemie hat unser Denken und Fühlen in Beschlag genommen. So erleben wir zurzeit eine kollektive Angina mentalis (lat. = Enge des Geistes). Wir sind mit unserer Aufmerksamkeit auf die Gefahr fokussiert um diese abzuwenden. So physiologisch sinnvoll das kurzfristig sein mag, so problematisch wird diese stresserzeugende Einengung (neuropsychologisch: Abwendungsmodus), wenn wir in ihr verharren. Wollen wir aus der Krise mit Gesundung herauskommen, ist es hilfreich, dass wir das Lebendige wieder wahrnehmen und uns als mitgestaltenden Teil davon (neuropsychologisch: Kohärenzmodus).
Wie jede Krise, so eröffnet auch die Corona-Krise einen neuen Möglichkeitsraum, ein neues Zeitfenster. Will ich den Kairos, die günstige Gelegenheit annehmen? Wie komme ich in eine vertiefte Wahrnehmung dessen, was werden will? Hilfreich ist für mich die Frage: Was ist bedeutsam für mich? Was tut mir gut – was tut mir nicht gut? Ich bemühe mich um Corona-Fasten, und wenn mir dies gelingt, stellt sich womöglich eine Leere und Ruhe ein, die eine Pforte zum Raum der Möglichkeiten sein kann. In der Weite einer kohärenten Wahrnehmung kann ich sowohl mein Anliegen als auch die anderer Menschen und Völker und der Biosphäre in Betracht ziehen. Ein keineswegs einfaches Unterfangen, wird mir dabei doch so manche Widersprüchlichkeit und Paradoxie bewusst. Nichts desto trotz vertraue ich dem was da werden will und was mein Beitrag in diesem Werdensprozess sein kann – ich vertraue auf kreative Impulse, die mein Handeln leiten werden.
Dieser Tage staune ich über die Natur, die unbeeindruckt vom Corona-Virus ihren Lauf nimmt – überall sprießen und gedeihen die Frühlingsboten. Sind das auch Vorboten für die Entwicklung aus der Krise?
Zukunft entsteht aus Krise – gestalten wir sie mit!
Wo gibt es in Deinem Leben gerade Lichtes und Weite? Mach mit und teile mit uns lichte Momente!